Das Ende einer Ära

Für die einen ist John Higgins nun ein Betrüger. Einer, den man nicht mehr ernst nehmen kann, egal, wie gut er Snooker spielt. Für die anderen ist er das Opfer einer fiesen Kampagne, der nun ungerecht behandelt wird.
Wieder anderen ist das alles ziemlich egal, solange sie mit gutem Snooker unterhalten werden. Und dann gibt's noch die, die John Higgins sowieso schon immer doof fanden. All diese Meinungen und Sichtweisen prallen in den Blogs und Foren seit Monaten aufeinander und es entstehen hitzige Diskussionen. Immer wieder wird in diesen Auseinandersetzungen auch der Sorge um die Entwicklung und Integrität des Sports Ausdruck verliehen. Aber ist das alles überhaupt so schlecht für den Sport, seine Fans und die Zukunft?

Ich glaube, der Skandal hat vieles ausgelöst, was der Sport gut gebrauchen kann und er kam genau zum richtigen Zeitpunkt. Nämlich exakt zum WM-Finale 2010, dem Anfang vom Ende der "alten Ära" wenn man so will. Stichtag. Neuanfang. Ein Thema, das der Sport seit Langem mit sich herumträgt, wird auf einmal öffentlich, greifbar, abrufbar. Jeder Snookerfan konnte sich im Internet ansehen, wie ein bekannter und überaus beliebter Snookerspieler, damals zudem noch Nr. 1 der Welt, mutmaßlich einwilligt, absichtlich Frames zu verlieren. Das hat's im Snooker vorher noch nicht gegeben. Bei anderen, populäreren Sportarten hören wir seit Jahren regelmäßig von Betrugsfällen in teilweise gigantischen Ausmaßen. Das Internet hat's im Fall Higgins möglich gemacht und es wurden Diskussionen ausgelöst, die noch immer andauern, es hat die Snookerfans regelrecht gespalten. Und es hat den Weltverband dazu gezwungen, das Thema öffentlich und schnell zu behandeln und ernsthafte Konsequenzen daraus zu ziehen. Mittlerweile hat die WPBSA sogar eine eigene Abteilung zur Bewahrung der Integrität eingerichtet - ein Signal an alle Spieler und Spekulanten, dass der Verband nicht untätig ist und sich auf mögliche Betrugsfälle vorbereitet. Für mich sind das eigentlich alles Indizien dafür, dass Snooker so langsam in der Gegenwart ankommt.

Aus meiner Sicht ist Kiew in erster Linie der Startschuss zu diesem Umbruch. Egal, ob John Higgins nun wirklich manipulieren wollte, oder nicht. Egal, ob echt oder inszeniert. Es wurde Aufmerksamkeit erregt, Zweifel, Hass, Wut und Mitleid geschürt. Und egal, wie man sich letztendlich positioniert, der Effekt ist da: Es wird geredet. Und jeder hat 'ne Meinung. Und genau das braucht Snooker. Viele Fans sind so vielleicht zum ersten Mal überhaupt auf den Gedanken gekommen, dass beim Snooker betrogen werden könnte. Optimal, dass John Higgins nun auch noch Weltmeister ist und im Finale den coolen, jungen Wilden besiegt hat. Da kann alles nochmal wieder aufgerollt werden und all die neuen jungen Judd Trump Fans bekommen's gleich auch noch mit. Zudem ist es der eigentlich einzig logische Abschluss für diese "Saison Higgins", die mit dem WM-Finale zwischen dem "Wizard of Wishaw" und "Mr. Haircut 100" Judd Trump zugleich den Übergang in die neue Ära markiert. (Gedanken über die Last, die dem 21-Jährigen als Symbol der jungen Snookergeneration auferlegt wird, macht sich der Autor im neuen deutschsprachigen Snookerblog Hit and Hope.)


Dass der Skandal dem Sport selbst geschadet hat, sehe ich überhaupt nicht. Klar, der erste Schock ließ das vermuten, aber die Einschaltquoten dieser Weltmeisterschaft haben es nicht bestätigt. Im Gegenteil: Die Popularität von Snooker wächst und sie wird mit der nächsten Saison weiter wachsen. Der Sport kann ja auch nichts dafür, dass ab und zu mal einer seiner Athleten auf dumme Gedanken kommt oder sich nicht korrekt verhält. Die Beliebtheit von Fußball schrumpft auch nicht aufgrund von gelegentlichen Wettskandalen. Im Fall Higgins kam's ja zum Glück gar nicht erst so weit, trotzdem wissen wir nun alle, dass -wie überall in der Welt- auch im "Gentleman-Sport" Snooker kriminelle Energie vorhanden ist und Tendenzen zu illegalen Absprachen existieren. Eine Tatsache, vor der sich ein Sport-Weltverband nunmal nicht verstecken kann. Und mit John Higgins gibt's nun einen Spieler mehr, über dessen Leistung man sich in Zukunft streiten kann.

Jetzt ist die Saison Higgins vorbei und mit ihr geht eine Ära zu Ende. Viele junge, ambitionierte Spieler wollen in die Snookerelite und haben in der kommenden Saison so viele Möglichkeiten wie nie zuvor, diesem Traum ein Stück näher zu kommen. Wir Fans können uns also auf eine spannende, mit Turnieren vollgestopfte Saison 2011/2012 freuen. Neue Austragungsorte, Formate und Gesichter erwarten uns und werden uns hoffentlich genug neuen, positiveren Gesprächsstoff liefern.

2 Kommentare :

  1. Vielleicht ist in den „Fall Higgins“ hier nun sogar ein wenig zuviel hineininterpretiert worden, aber insgesamt ist das einer der besten Artikel, die ich zur aktuellen Situation im Snookersport gelesen habe. Herrlich unaufgeregt und mit Blick auf die vielen kleinen Umbrüche der letzten Zeit wird hier ein ganzheitliches Resümee gezogen und ein vorsichtiger Ausblick auf die spannende Zukunft im Snooker gewagt.
    Dass eine solche Umbruchzeit immer auch das Risiko darstellt, nicht nur alte Schwächen zu korrigieren, sondern direkt vom einen Extrem ins andere zu schwenken, ist wiederum eine andere Sache, über die man sicher auch einen Artikel schreiben könnte.

    @Martin Klasse Artikel, ich fürchte fast in diesem Blog erhält er nicht die Aufmerksamkeit, die er verdient hätte. Könnte man da nicht mal bei Snookermania anfragen?

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  2. Das Thema John Higgins nervt mittlerweile einfach nur noch. Wurde alles zu gesagt, ist ausreichend abgehandelt worden. Und der Umbruch hat meiner Meinung nach eher mit Barry Hearn zu tun statt mit dem Skandal um Higgins.

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